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Der Akti­ons­bund Akti­ver Anle­ger­schutz e.V. bleibt dran: Zwei Sena­te des Bun­des­ge­richts­hof (BGH) haben unter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen zur Pro­spekt­haf­tung von Grün­dungs­ge­sell­schaf­tern geschlos­se­ner Fonds.

Sel­ten, aber mög­lich: Zwei Zivil­se­na­te des BGHs beur­tei­len eine Geset­zes­la­ge kon­trär. Wel­cher der bei­den Sena­te sich letzt­lich durch­set­zen wird, hat Aus­wir­kun­gen auf Tau­sen­de von Anle­gern. Ins­be­son­de­re betrifft es alle Anle­ger, die aus Pro­spekt­haf­tung gegen Grün­dungs­ge­sell­schaf­ter geschlos­se­ner Fonds vor­ge­hen, deren Pro­spek­te von Mit­te 2005 bis Mit­te 2012 her­aus­ge­ge­ben wur­den. Es geht um eine zen­tra­le Fra­ge des Anlegerschutzes.

Der XI. Zivil­se­nat des BGH hat am 19. Janu­ar 2021 einen Beschluss gefasst, der die Fonds­bran­che erschüt­tert hat. Hin­ter­grund ist folgender:

Nach jahr­zehn­te­lan­ger Recht­spre­chung haf­ten die Grün­dungs­ge­sell­schaf­ter geschlos­se­ner Fonds den Anle­gern aus sog. Pro­spekt­haf­tung im wei­te­ren Sinn, wenn die Anle­ger mit feh­ler­haf­ten Pro­spek­ten ein­ge­wor­ben wer­den. Wenn Anle­ger in den letz­ten Jahr­zehn­ten Scha­dens­er­satz für Kapi­tal­ver­lus­te aus schief­ge­gan­ge­nen Fonds erhal­ten haben, dann ganz über­wie­gend auf die­ser Anspruchs­grund­la­ge. Die Pro­spekt­haf­tung im wei­te­ren Sinn ver­jährt zum Ende des drit­ten Jah­res ab Kennt­nis von der Feh­ler­haf­tig­keit des Pro­spek­tes, spä­tes­tens aber zehn Jah­re nach Bei­tritt des Anle­gers zum Fonds. Dane­ben gab es die Pro­spekt­haf­tung im enge­ren Sinn, die einen grö­ße­ren Kreis von Haf­tungs­adres­sa­ten umfasst, ins­be­son­de­re auch die sog. Hin­ter­män­ner der Fonds. Die­se Haf­tung ver­jähr­te schon immer inner­halb sehr viel kür­ze­rer Zeit.

Paragraphen schweben vernetzt in der Luft mit verschwommener Hand im Hintergrund. BGH Prospekthaftung

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Geschlos­se­ne Fonds gehör(t)en seit jeher zum Grau­en Kapi­tal­markt. Grau wird der Kapi­tal­markt genannt, für den es kei­ne eige­nen gesetz­li­chen Rege­lun­gen gibt.

Weil immer wie­der Anle­ger mit Betei­li­gun­gen im Grau­en Kapi­tal­markt mit irre­füh­ren­den Pro­spek­ten über den Tisch gezo­gen wur­den, woll­te der Gesetz­ge­ber zur Ver­bes­e­r­ung des Anle­ger­schut­zes für den Grau­en Kapi­tal­markt gesetz­li­che Rege­lun­gen ein­füh­ren. Zu die­sem Zweck wur­de mit Wir­kung zum 1. Juli 2005 das Ver­kaufs­pro­spekt­ge­setz (VerkPro­spG) durch das Anle­ger­schutz­ver­bes­se­rungs­ge­setz geän­dert und auf geschlos­se­ne Fonds erstreckt. Damit gab es erst­mals eine spe­zi­al­ge­setz­li­che Rege­lung zur Pro­spekt­haf­tung für geschlos­se­ne Fonds. Die­se neue gesetz­li­che Pro­spekt­haf­tung ver­jährt ver­gleich­bar der Pro­spekt­haf­tung im enge­ren Sinn. Nicht zuletzt aus die­sem Grund bestand von Anfang an weit­ge­hen­der Kon­sens der Rechts­exper­ten, dass die neue spe­zi­al­ge­setz­li­che Rege­lung die von der Recht­spre­chung defi­nier­te Pro­spekt­haf­tung im enge­ren Sinn erset­ze, wäh­rend die Pro­spekt­haf­tung im wei­te­ren Sinn mit ihrer lan­gen Ver­jäh­rungs­frist dane­ben bestehen bleibe.

Vor dem Hin­ter­grund die­ser Rechts­auf­fas­sung haben Tau­sen­de von Anle­gern Pro­spekt­haf­tungs­kla­gen gegen Grün­dungs­ge­sell­schaf­ter ein­ge­reicht. In aller Regel wer­den Feh­ler bean­stan­det, die erst weit mehr als drei Jah­re nach Fonds­auf­la­ge über­haupt zuta­ge getre­ten sind. Das spä­te Fest­stel­len der Feh­ler ist im Übri­gen typisch für geschlos­se­ne Fonds, die sich erst nach Aus­lauf von Garan­tie- und Fest­ver­trä­gen oder Zins­bin­dun­gen im Markt aus eige­ner Kraft behaup­ten müs­sen. Aus die­sem Grund hat­te die Pro­spekt­haf­tung im enge­ren Sinn für Fonds­an­le­ger auch nie eine gro­ße Bedeu­tung, weil die Feh­ler erst bekannt wur­den, wenn die Ansprü­che schon ver­jährt waren. Es war daher auch zu erwar­ten, dass die neue spe­zi­al­ge­setz­li­che Rege­lung für die­sen Anle­ger­kreis eben­so wenig Bedeu­tung ent­fal­ten würde.

Genau die­ser Rechts­auf­fas­sung hat der XI. Zivil­se­nat des BGH am 19. Janu­ar 2021, also rund 15 Jah­re nach Inkraft­tre­ten des Geset­zes, wider­spro­chen. Er ist letzt­lich der Mei­nung, der Gesetz­ge­ber habe mit der spe­zi­al­ge­setz­li­chen Pro­spekt­haf­tung die Haf­tungs­si­tua­ti­on der Initia­to­ren ver­bes­sern und auch die Pro­spekt­haf­tung im wei­te­ren Sinn erset­zen wol­len. Das kam für die Anle­ger- wie für die Anbie­ter­sei­te uner­war­tet, weil der Gesetz­ge­ber im Hin­blick auf den Grau­en Kapi­tal­markt immer nur eine Ver­bes­se­rung des Anle­ger­schut­zes im Auge hatte.

Auf der Basis der Ent­schei­dung des XI. Senats wur­de dar­auf­hin eine Viel­zahl von Pro­spekt­haf­tungs­kla­gen von den Gerich­ten aller Instan­zen als ver­jährt abge­wie­sen, ohne dass eine Wür­di­gung der Pro­spekt­dar­stel­lun­gen noch vor­ge­nom­men wur­de. Tau­sen­de der­ar­ti­ger Kla­gen, ins­be­son­de­re noch in meh­re­ren Ver­fah­ren nach dem Kapi­tal­an­le­ger­mus­ter­ver­fah­rens­ge­setz (KapMuG) sind aber noch rechtshängig.

Der AAA hat in inten­si­ver Recher­che und in Zusam­men­ar­beit mit Rechts­an­wäl­ten diver­ser Kanz­lei­en im Bun­des­ge­biet, ins­be­son­de­re aber mit Rechts­an­walt Tobi­as Piel­sti­cker aus Mün­chen, Mate­ri­al zusam­men­ge­tra­gen, um den XI. Senat zu wider­le­gen. Die Argu­men­te wur­den in einer Viel­zahl von Ver­fah­ren vor den Land­ge­rich­ten und den Ober­lan­des­ge­rich­ten vor­ge­tra­gen. Wäh­rend der XI. Senat zwi­schen­zeit­lich sei­ne Auf­fas­sung in wei­te­ren Ent­schei­dun­gen noch zu Las­ten der Anle­ger aus­ge­baut hat und diver­se Unter­ge­rich­te sei­ner Recht­spre­chung gefolgt sind, hat im Früh­jahr 2022 der II. Zivil­se­nat des BGH dann in ent­spre­chen­den Pro­spekt­haf­tungs­ver­fah­ren die Revi­si­on zuge­las­sen, um sich zur Fra­ge der Pro­spekt­haf­tung im wei­te­ren Sinn sei­ner­seits (erneut) zu posi­tio­nie­ren. Nach die­ser Ankün­di­gung haben eini­ge Gerich­te, vor allem auch die bei­den sog. “KapMuG-Sena­te” des OLG Ham­burg, lau­fen­de Ver­fah­ren aus­ge­setzt, um die Auf­fas­sung des II. Senat abzu­war­ten. Ande­re Gerich­te, so bei­spiels­wei­se das OLG Bre­men, haben sich davon nicht beein­dru­cken las­sen und Kla­gen mit Ver­weis auf den XI. Senat abgewiesen.

Jetzt hat sich der II. Zivil­se­nat in einem Beschluss vom 25. Okto­ber 2022 (II ZR 22/22) zu die­ser Fra­ge posi­tio­niert und deut­lich zum Aus­druck gebracht, dass der mit der Ansicht des XI. Senats nicht ein­ver­stan­den ist, son­dern wei­ter (!) davon aus­ge­he, dass die Pro­spekt­haf­tung im wei­te­ren Sinn neben der spe­zi­al­ge­setz­li­chen Pro­spekt­haf­tung Bestand habe. Der II. Senat begrün­det sei­ne Auf­fas­sung auf rund 20 Sei­ten sehr aus­führ­lich. Nahe­zu alle Argu­men­te, die wir zusam­men­ge­tra­gen haben, sind berück­sich­tigt. Der Beschluss wird aller­dings noch nicht ver­öf­fent­licht wer­den. Denn lei­der kommt der II. Senat in die­sem Ver­fah­ren zu dem Ergeb­nis, dass kei­ne Pro­spekt­feh­ler vor­lie­gen. Er wür­de die Revi­si­on also aus einem ande­ren Grund zurück­wei­sen, wenn sie nicht zurück­ge­nom­men wird.

Den­noch ist die Begrün­dung des II. Senats nun in der Welt. Auch dem XI. Senat liegt die­ser Beschluss inzwi­schen vor, igno­rie­ren kann er ihn nicht mehr. In den noch lau­fen­den Ver­fah­ren kann der Beschluss vor­ge­legt wer­den. Jeder Rich­ter und jede Rich­te­rin an einem Land­ge­richt oder an einem Ober­lan­des­ge­richt könn­te jetzt auf der Basis die­ses Beschlus­ses auch zu Guns­ten der Anle­ger ent­schei­den und sich dabei auf den BGH berufen.

Wir war­ten nun­mehr dar­auf, dass ein wei­te­res Ver­fah­ren, bei dem das zustän­di­ge OLG Pro­spekt­feh­ler mit über­zeu­gen­der Begrün­dung fest­ge­stellt hat, vom II. Zivil­se­nat des BGH ter­mi­niert wird. Das dürf­te dann der Aus­gangs­punkt sein, von dem an die Fra­ge dem Gro­ßen Senat des BGH vor­ge­legt wer­den muss. End­gül­tig ent­schie­den ist die Fra­ge also noch nicht, aber es besteht nach unse­rer Ansicht ein guter Grund zur Hoff­nung, dass ins­be­son­de­re in den noch lau­fen­den regu­lä­ren Ver­fah­ren und in den KapMuG-Ver­fah­ren, in denen Pro­spekt­feh­ler bereits fest­ge­stellt wur­den, den Anle­gern dann auch Scha­dens­er­satz zuge­spro­chen wird, weil ihre Ansprü­che eben nicht ver­jährt sind.

Mit einer Mit­glied­schaft im Akti­ons­bund Akti­ver Anle­ger­schutz e.V. hal­ten wir Sie bezüg­lich aller Ent­wick­lun­gen auf dem Lau­fen­den; zuge­schnit­ten auf Ihre per­sön­li­chen Interessen.

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